Unsere erste Hürde…

UK (Unterstützte Kommunikation) hat ein „Wischi – Waschi“ Problem

Warum Mogelpackungen nicht nur unfair sondern gefährlich sind!

Christiane Dieckmann 4/2023

Kennen Sie solche Aussagen:

  • Wir machen UK.
  • UK ist in unserem Konzept verankert.
  • UK steht in den Leistungsvereinbarung der Förderstätte.
  • Etc. etc. etc.

Und wenn Sie dann fragen, woran man denn erkennt, dass UK praktiziert wird, erhalten sie Aussagen wie:

  • Wir nutzen Fotos und Bilder.
  • Wir haben Türschilder mit Symbolen.
  • Wir machen TEACCH.
  • Wir haben Fotos von den Mitarbeitern und Aktivitäten auf einem Wochenplan.
  • Etc…….

Nur: Das ist nicht UK!

Warum ist es wichtig, nicht jedes „Bildchen“ und nicht jede Geste als Unterstützte Kommunikation zu deklarieren?

Scholz und Stegkemper haben dazu eine klare Haltung:

Praxistipp 6- UK ist mehr als die Nutzung von Visualisierungen

Die Bezeichnung „UK“ wird in der Praxis mitunter sehr breit verwendet. So werden teilweise alle multimodalen Visualisierungen mittels Fotos, Piktogrammen aus Symbolsammlungen oder sogar Strukturierungsmaßnahmen im Kontext des TEACCH – Ansatzes (Treatment and Education of Autistic and related Cominication Handicapped Children) als UK deklariert. Wenn der Begriff so beliebig genutzt wird, gerät aus dem Blick, worauf UK im Kern zielt, nämlich Kommunikation. Eine alleinige Verwendung von Piktogrammen ist noch keine UK-davon kann erst die Rede sein, wenn eine Person auch Strategien vermittelt werden, die es ihr ermöglichen, mittels dieser Formen mit anderen in Interaktion zu treten und ihre kommunikative Teilhabe substantiell zu erweitern.“

(Aus: Unterstützte Kommunikation, Scholz/Stegkemper, S. 26, München 2022)

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein „Bildchen“ ist noch lange nicht UK!

(Ich verzichte an dieser Stelle auf einen fachlichen Exkurs und verweise auf die mittlerweile umfängliche Fachliteratur zur Unterstützten Kommunikation.)

Warum ist es mir wichtig, mich zu diesem Thema zu äußern?

Warum rege ich mich auf?

Weil Aussage von Institutionen, wie eingangs beschrieben, verhindern, dass UK – Nutzer_innen Unterstützung in Form von Assistenz und adäquater Förderung erhalten, die sie benötigen um ihre Teilhabe an Gesellschaft und Bildung zu praktizieren; beides steht ihnen rechtmäßig zu und ist im BTHG verankert.

Denn: Kostenträger beziehen sich auf diese Aussagen und „Konzepte“ von Einrichtungen und lehnen jede weitere Finanzierung ab. Im Konzept steht UK, also wird dort UK praktiziert, also ist der Bedarf gedeckt.

Es wird nicht auf die individuellen Kommunikationsbedürfnisse und die dazu notwendigen Unterstützungsmaßnahmen eingegangen. Und selbst wenn eine Einrichtung aufzeigt, welche Bedarfe im Bereich UK einer Person gedeckt werden können und für welche eine zusätzliche Assistenz notwendig ist, spielt das für die Behörde keine Rolle.

Was bedeutet das in unserem konkreten Fall?

Marlene hat das Rett – Syndrom, ist 20 Jahre alt und kommuniziert multimodal; primär mit einer Sprachausgabe mit Augensteuerung. Vom ersten bis zum letzten Schultag hatte Marlene eine Schulbegleitung, die sie vor allem im Bereich der Kommunikation unterstützt hat. Mit dem Ende der Schulzeit hat sich überraschenderweise die Kommunikationsbeeinträchtigung nicht aufgelöst. Die Kommunikationsbarriere ist immer noch da und muss durch eine Kommunikationsassistentin ausgeglichen werden. Marlene hat das große Glück, dass sie eine kompetente Assistentin hat, die sie bei der Transition ins Erwachsensein und den Abschluss der Schule begleitet hat.

Marlene hat in Begleitung ihrer Assistentin im Anschluss an ihre Schulzeit für drei Monate in einer Förderstätte hospitiert. Das war ein voller Erfolg. Wir Eltern, der Fachdienst der Förderstätte und Marlene waren uns einig, dass der Besuch der Förderstätte nur in Begleitung der erfahrenen Assistentin möglich ist. Denn Teilhabe, Bildung und der Aufbau sozialer Kontakte sind nur mit Kommunikation möglich und wenn eine Person dazu Unterstützte Kommunikation mit einem komplexen Sprachausgabegerät benötigt, muss diese bereitgestellt werden. Eigentlich ein ganz klarer Fall: Marlene möchte sowohl an den Gruppenaktivitäten teilnehmen, über die sie soziale Kontakte aufbauen kann als auch an den Bildungsangeboten teilhaben und dazu benötigt sie Kommunikationsassistenz.

Der Kostenträger lehnt die Finanzierung der Kommunikationsassistenz während der Teilnahme am Angebot der Förderstätte ab, da in der Leistungsvereinbarung der Förderstätte mit dem Bezirk steht, dass Unterstützte Kommunikation im Leistungskatalog aufgelistet ist.

Auf meine Frage, woran die Qualitätskontrolle des Bezirks festgestellt hat, dass an der Förderstätte Unterstützte Kommunikation praktiziert wird, wurde geantwortet, dass man dort mit Fotos, Bilder und TEAACH arbeitet.

Und somit sind wir wieder beim „Wischi – Waschi“ Problem der UK.

Auch das sehr aussagekräftige Zitat von Scholz/Stegkemper konnte die zuständigen Entscheider nicht überzeugen. Genauso wenig wurde meine Expertise als Sonderschulrektorin, Referentin des Lehrgangs Unterstützte Kommunikation der Universität Köln, Referentin der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation und Autorin vieler Fachartikel anerkannt.

Auch die fachlich hervorragende Stellungnahme der Förderstätte, die sich an den Kriterien der ICF orientiert und ganz klar auflistet, welche Leistungen die Förderstätte tatsächlich im Bereich Unterstützter Kommunikation leisten kann, und welcher Bedarf nur durch die Kommunikationsassistentin gedeckt werden kann, interessiert diesen Kostenträger nicht.

Bedarfsermittlung nach ICF?

Fehlanzeige!

Stattdessen wird argumentiert, man hab sehr wohl mit Unterstützter Kommunikation gearbeitet…bei Autisten in Förderstätte „xy“ wurden Fotos, Bilder, FC und TEACCH eingesetzt…wischi-waschi-wischi-waschi…

CHRISTIANE dIECKMANN

Für mich stellt sich immer mehr die Frage, wie fair es gegenüber den Teilnehmenden ist, dass Einrichtungen (gezwungenermaßen?) Leistungskataloge erstellen, die sie bei fachlicher Qualitätskontrolle nicht erfüllen können. Die Auflistung der angebotenen Leistungen liest sich wie die „eierlegende Wollmilchsau“. In der Realität hängen „Fotos und Bildchen“ in den Räumen, nur einzelne Mitarbeiter_innen haben eine Grundausbildung in Unterstützter Kommunikation.

Wie aussagekräftig ist eine Qualitätskontrolle, wenn diese von einer UK –unerfahrenen Person durchgeführt wird?

Wenn die Qualität nicht adäquat überprüft werden kann, kann auch beliebig aufgelistet werden, was man alles leistet – kann ja eh keiner kontrollieren, weil keiner eine Ahnung hat.

Wäre es nicht fairer, transparent darzulegen, was man als Einrichtung bezüglich eines so wichtigen Grundbedürfnisses wie Kommunikation leisten kann, und welche Leistungen man als Kostenträger und „Käufer_innen/Nutzter_innen“ bei Inanspruchnahme dieser Leistungen erwarten kann?

Bei dem Grundbedürfnis „Ernährung“ wird uns mit der Einführung des Nutri – Score eine Orientierungshilfe angeboten. Dazu kann man auf der Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft folgende Information lesen:

„Gesünder einkaufen und besser essen ist jetzt ganz einfach – mit dem Nutri-Score. Die Kennzeichnung macht es möglich, den Nährwert von Lebensmitteln einer Produktkategorie auf einen Blick zu vergleichen und sorgt so für mehr Orientierung am Einkaufsregal.“

Vielleicht brauchen wir zur Orientierung einen „UK – Score“?

A: Hier wird UK von zertifiziert ausgebildeten Fachleuten angeleitet und von den Mitarbeiter_innen gelebt; die Ausstattung wird den Bedürfnissen entsprechend angepasst.

B: Hier haben wir eine Grundausstattung an UK – Medien und alle Mitarbeiter_innen haben Grundkenntnisse. Sie müssen ihre individuellen UK – Hilfsmittel mitbringen und wir sind auf ihre Unterstützung bei der UK – Begleitung angewiesen. Bei komplexen UK – Anforderungen benötigen sie eine Assistenz, da wir das nicht leisten können.

C: Hier können wir UK nicht leisten, da wir weder ausgebildetes Personal haben, noch eine ausreichende Ausstattung. Bitte bringen sie alles mit, was sie benötigen, damit sie an unseren Bildungsangeboten aktiv teilhaben können.

Da UK – Nutzer_innen und deren Eltern/Bezugspersonen weder die Auswahl wie in einem Supermarkt haben, wo sie sich die passenden Produkte aussuchen können, noch einen Einblick in das vorhandene „UK – Angebot“ erhalten, ist die Gefahr der falschen „Versorgung“ offensichtlich.

Wenn akzeptiert wird, dass jedes „Bildchen, Foto oder Türschild“ schon bedeutet, dass UK stattfindet, verhindert man, dass der Personenkreis der Menschen mit Barrieren in der Kommunikation adäquate Unterstützung erhält.

UK ist Vieles:

  • voraussetzungslos
  • ein Grundbedürfnis
  • der Schlüssel zu sozialer Teilhabe, Bildung und Kultur
  • für unsere Familie Alltag
  • ABER IM KERN „KOMMUNIKATION

Der Missbrauch des Begriffs „Unterstützte Kommunikation“ in Form von Mogelpackungen ist schädlich; mangelhafte Qualitätskontrolle manifestiert diesen Zustand.

Nur weil ein Klavier im Raum steht, ist man noch keine Musikschule…

Nur weil auf meinem Schreibtisch ein Laptop steht, bin ich noch keine IT – Fachfrau….

Man stelle sich nur mal vor, im Leistungskatalog einer Einrichtung stände „Operation am offenen Herzen machen wir auch“ – ist ja egal – kann doch eh keiner kontrollieren….

Einen kleinen Hoffnungsschimmer habe ich dennoch: In meinem letzten Einführungskurs Unterstützte Kommunikation (GesUK), den ich mit Birgit Dabringhausen gehalten habe, waren zwei Teilnehmerinnen, die als Sachbearbeiterinnen bei der Eingliederungshilfe arbeiten. Vielleicht suche in meinen Unterlagen deren Namen und wechsle den Wohnort und fange nochmal ganz von vorne an…

Kontakt zur Autorin:

Christiane Dieckmann

info@seiltanz-nfe.de

Artikel zum Download:

www.seiltanz-nfe.de

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Anmerkung:

Der Nutri-Score wird als 5-stufige Farbskala von A bis E dargestellt. Das dunkelgrüne A zeigt die beste Bewertung an, das rote E die schlechteste. Der Vergleich mit dem Nutri-Score ist nur für Lebensmittel innerhalb einer Produktgruppe oder mit gleichem Verwendungszweck sinnvoll.

Quelle: Nutri-Score – Wikipedia

Symbole: © Metacom Anette Kitzinger

Bildquelle Nutri-Score: © Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft  www.bmel.de